Irgendwie anders – Politisch aktiv mit Kind

von Corinna K., Aktivistin bei Tierbefreiung Dresden

Woran liegt es, wenn Aktivist_innen mit Kind/ern nicht mehr am politischen Leben teilnehmen wollen oder können? Wie können Strukturen geschaffen werden, die es Eltern ermöglichen, weiterhin aktiv zu bleiben? Welche Aktionsformen kommen für mich in Frage und welche nicht (mehr)? Kann und will ich meine Freiheit noch in Gefahr bringen, wenn ich ein Kind zu versorgen habe?

Der eigene Standpunkt

Schwangerschaftstest positiv! Dieser kleine zweite Strich auf dem Display sollte mein/unser ganzes weiteres (politisches) Leben verändern. Und dann kamen sie auch schon, die ganzen gut gemeinten Ratschläge und Informationsbroschüren, angefangen von „Joga für Schwangere“, „Das große Stillbuch“ bis „Sanftes Gebären“. Mein erster Gedanke war: Finde ich auch ein Buch für Mütter/Väter, die weiterhin politisch aktiv sein wollen, aber mit Kind?

Mein Standpunkt und meine Erfahrungen beziehen sich auf die letzten fünf Jahre, die ich tierrechtsaktiv mit Kind lebe, vorher war ich etwa fünf Jahre ohne Kind aktiv. Zuerst muss ich jedoch kurz unsere „familiären“ Strukturen schildern. Familiär in Anführungsstrichen, da ich mich mit dem Begriff nicht nur auf hineingeborene Verbindungen beschränke, sondern zu unserer Familie auch Freunde, Aktivist_innen und nichtmenschliche Tiere zähle. In unserem Fall gehören zu unserer Familie schon immer Katzen, Fundtiere, die wir bei uns aufgenommen haben. Wir (mein Freund und ich) leben mit einem Kind zusammen und teilen uns die Verantwortung. Wir sind uns in unserem Zusammenleben mit unserem Sohn einig, möchten, dass er so selbstbestimmt wie möglich aufwächst, und uns beiden ist wichtig, dass unser Sohn weiß, warum wir vegan und politisch aktiv leben wollen. Wir möchten ihm nicht nur unsere kritische Einstellung zum gesellschaftlichen Mensch-Tier-Verhältnis vermitteln, sondern auch das gesellschaftliche Erwachsenen-Kind-Verhältnis hinterfragen. Denn das Hinterfragen der bestehenden Verhältnisse bedeutet gleichzeitig für mich das Hinterfragen meiner eigenen Erziehung und dem, was allgemein unter Erziehung verstanden wird. Wir sind beide Tierrechts-/Tierbefreiungsaktivisten und seit mehr als einem Jahrzehnt politisch aktiv. Wir gehen beide einer Erwerbs- beziehungsweise Teilzeitarbeit nach, und wir entscheiden uns bewusst für ein Kind.

Tierrechtsaktiv mit Kind

In der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung ist eine hohe Fluktuation zu beobachten. Im Fokus des Aktivismus stehen meist junge, gebildete und ungebundene Menschen im Alter zwischen 20 und 35 Jahren. Weder Kinder noch viele ältere Menschen, Menschen mit Migrationshintergrund oder Menschen mit Beeinträchtigungen fühlen sich der Bewegung zugehörig. Mein Artikel konzentriert sich in erster Linie auf Vereinbarkeit von Aktivismus und Kind, soll aber gern auch als Inspiration, Anregung oder Idee gesehen werden, um weitere Möglichkeiten und Konzepte zu entwickeln, damit sich die Bewegung öffnet und mehr Menschen aktiv werden können.

Ohne Kind gestaltete sich mein Aktivismus recht unkompliziert, denn abendliche Plenen, mehrstündige Kundgebungen oder sogenannte Latschdemos, längere Anfahrtszeiten zu bundesweiten Demonstrationen sowie Aktionen des zivilen Ungehorsams waren für mich Aktionsformen, an denen ich mich problemlos beteiligen konnte. Jetzt, als Mutter, verschiebt sich meine Sicht. Abendliche Plenen sind ohne Weiteres nicht umsetzbar, mehrstündige Kundgebungen sind für mein Kind langweilig, Latschdemos anstrengend und Kongresse/Konferenzen/Gatherings ohne Kinderprogramm laden nicht zur Teilnahme ein!

Es liegt auf der Hand: der zeitliche Mehraufwand. Gleichzeitig Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen sowie der leidige Haushalt, der anfällt, wenn mehrere Personen zusammenleben. Es spielen Themen und Entscheidungen wie Tagespflege, Kindergarten und Schule eine Rolle, verbunden mit bürokratischem Aufwand, Eingewöhnungsphasen und emotionalen Achterbahnfahrten. Es kostet Kraft und Zeit, Essen vorzukochen oder sich mit dem Kindergarten- oder Schulpersonal über die Ernährung des Kindes oder allgemeine Alltagsprobleme auseinanderzusetzen. Außerdem kommt es auch auf die politische Einstellung beziehungsweise das Interesse der jeweiligen Elternteile an, ob und in welcher Art sich ein aktives Leben weiterhin gestalten lässt. Der Faktor Zeit spielt eine entscheidende Rolle, denn mit einem Kind zusammenzuleben bedeutet für mich in erster Linie, neben der Versorgung seiner Grundbedürfnisse sich Zeit zu nehmen. Es ist mir wichtig, ihn bei seinen kleinen oder großen Entdeckungsreisen zu begleiten, seine Gedanken, Wünsche oder Sorgen zu kennen und ein vertrauensvolles Verhältnis zu ihm aufzubauen.

In unserer Tierrechtsgruppe gab es auch mehrere Aktive, die sich für ein Zusammenleben mit Kind entschlossen haben und nach einer gewissen Zeit der Gruppe fernblieben und dem Aktivismus den Rücken kehrten. Das kam für mich nie in Frage und hat mich angespornt, eigene Wege zu gehen. Ich bin verantwortlich dafür, dass mein Sohn ungefragt in eine Gesellschaft geboren wurde, die ich kritisiere und die ich verändern möchte. Wer einmal über den Tellerrand hinausblickt und erkennt, auf welchen Ungerechtigkeiten dieses System gebaut ist, kann nicht wegblicken, sobald der eigene Nachwuchs geboren wurde… Zumindest ich nicht, denn gerade jetzt trage ich noch mehr Verantwortung. Ich habe gemerkt, ich kann nicht erwarten, dass für mich und mein Kind Strukturen geschaffen werden, damit ich weiter aktiv sein kann. Ich muss selbst darüber nachdenken, ausprobieren, Ideen sammeln und kreativ bleiben, damit unser beider Bedürfnisse nicht zu kurz kommen.

Strukturen schaffen

Um Strukturen in der Bewegung zu schaffen, ist es meiner Meinung nach wichtig, erst einmal in dem eigenen Umfeld (sprich: in der eigenen Tierrechts-/Tierbefreiungsgruppe) die Kommunikation voranzutreiben. Denn auch für mich spielten Kinder, Heranwachsende, Jugendliche zuvor keine Rolle, mir war vor meinem Kind überhaupt nicht bewusst, wie ein kindkompatibles Konzept überhaupt aussehen kann. Ja, ich wusste nicht einmal mit einem Kind umzugehen…

Positiv wäre, wenn sich andere Aktivist_innen bereit erklärten, sich mit einzubringen und auch ein Stück verantwortlich fühlen wollten. Am Idealsten ist es, wenn in einer Gruppe mehrere Kinder sind, die sich gemeinsam die Zeit vertreiben können und Spaß daran haben, selbst aktiv zu werden. Kinder spielen, machen Lärm, möchten Aufmerksamkeit – manchmal lassen sich diese Tatsachen nicht mit trockenen (langweiligen) Diskussionsrunden vereinbaren. Aber wir können überlegen, wie es möglich ist, Situationen oder Orte zu schaffen, sodass sich Kinder nicht langweilen und Aktive politisch arbeiten können. Der Aktivismus ändert sich mit Kindern, es gibt keine starren Muster, sondern es heißt, flexibel, kreativ und aufmerksam zu bleiben, auszuprobieren, dazuzulernen und gegebenenfalls mal etwas anders zu machen… Vieles ist möglich!

Einige Vorschläge

In den wärmeren Monaten veranstalten wir unser Plenum nachmittags, meist an ausgewählten Kinderspielplätzen, wo sich Kinder vergnügen können und wir Aktive uns mit Ausschau halten (kommt natürlich auf das Alter der Kinder an) abwechseln können.

Zu Kundgebungen bieten sich Straßenmalkreide und Seifenblasen an, um der Langeweile entkommen zu können, oder gemeinsames Basteln von Schildern, Fahnen und so weiter, wodurch Kinder ihre Gedanken zu Tierausbeutung formulieren können.

Kinder können Flyer verteilen oder kreieren und/oder kleine Redebeiträge durchs Megaphon sprechen.

Bei Latschdemos bieten sich Leiterwagen oder Fahrradanhänger an, die ja auch gemeinsam gestaltet; beklebt, gemalt und gebastelt werden können. In ihnen kann sich gut ausgeruht werden, und eine Regenplane bietet nicht nur Schutz vor Regengüssen, sondern auch Möglichkeiten, einen Leiterwagen zur Höhle oder zum Segelboot umzufunktionieren.

Fahrradklingeln, Trillerpfeifen, Rasseln, Trommeln und andere Instrumente können effektvoll in Demos mit eingebunden werden.

Ein etwas schwierigeres Problem sind Jahreshauptversammlungen, Vorträge oder Filmvorführungen, wo die Anwesenheit von Kindern oft alle vom zielgerichteten Arbeiten und Reden ablenkt. In solchen Situationen wäre bei der Suche nach einer geeigneten Lokation vorteilhaft, wenn der Vortragsraum einen kleinen Vorraum oder zweiten Raum besitzt und dieser zur Spielecke erklärt werden kann, damit sich Kinder anders beschäftigen können, wenn sie möchten. Vielleicht befindet sich die Lokation auch in der Nähe eines Spielplatzes oder Ähnlichem.

Was ich in den letzten Jahren auch immer wieder beobachten konnte, ist, dass Mütter/Väter (mit Kind) nicht als Aktive wahrgenommen werden. Daraus entsteht auch ein Vorteil. Sie können somit anonymisierter Aktionen ausüben. Zum Beispiel wird einer Mutter/Vater mit Kind nicht zugetraut, dass sie Zirkusflyer abreißt, Aufkleber auf Verpackungen klebt oder Grundstücke besetzt. (An dieser Stelle möchte ich unbedingt darauf hinweisen, dass ich bei solchen Aktionen immer im Hinterkopf habe, dass mein Kind keiner Gefahr ausgesetzt wird.) Das gesellschaftliche Bild einer glücklichen Familie sieht Aktivismus nicht vor, und diese Unwissenheit bietet Raum für kleine spontane, kreative Aktionen. Eine weitere Möglichkeit, einen (täglichen) Beitrag zur Aufklärung über Tierausbeutung zu leisten, sind Einkäufe im Supermarkt. Ich erklärte meinem Kind (etwas lautstark), warum der Fisch eingeschweißt im Kühlregal liegt und nicht im Meer schwimmt. Dass die farbenfrohen Wandmalereien in Fleischverkaufsecken grünes, hügeliges Weideland mit glücklichen Kühen und Schweinen den Konsumenten eine falsche Realität vorgaukeln sollen. Keine_r soll darüber nachdenken, wo Bärchenwurst mit Gesicht wirklich herkommt.

Eine schöne Aktion hatten wir bei einem Straßenfest mit Infostand. Wir hängten ein großes Transparent auf, auf dem „Hände weg von Tieren“ stand, dazu mit Helium gefüllte Luftballons. Auf den Luftballons und auf dem Transparent konnten kleine und große Menschen mit Fingermalfarbe ihren Handabdruck hinterlassen, dem Luftballon wurde dann ein Zettel mit der Botschaft „Hände weg von Tieren“ und Infos zur Tierausbeutung angehängt und auf Reisen geschickt.

Vegane Familien

Aufgrund der steigenden Zahl von Veganer_innen in den letzten Jahren rückt das Thema vegane Familien und vegane Kinderernährung immer mehr in den Vordergrund. Verschiedene Magazine beschäftigen sich mit Fragen, Tipps und Tricks rund um Alltagsprobleme, Mangelerscheinung, Supplementierung und Kochrezepte. Selbstverständlich liegt mir viel daran, dass sich mein Sohn gesund ernährt, auch wir supplementieren unter anderem Vitamin B12. Er wurde in einen veganen Haushalt hineingeboren, und es gab bisher keine Reibungspunkte wegen unserer Ernährung. Wir erklärten ihm immer wieder, warum wir vegan leben und möchten ihm dennoch die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden. Uns ist ein unverkrampfter, undogmatischer Umgang mit dem Thema, der das Alter des Kindes berücksichtigt, wichtig. So kamen auch Situationen vor, in denen er ein Stück unveganen Kuchen oder Keks aß, zum Beispiel bei Kindergeburtstagen oder im Kindergarten. Im Umgang mit Tieren finde ich ihn sehr mitfühlend, denn er macht sich zum Beispiel schon im Vorfeld Gedanken, wer sich um unsere Katze kümmert, wenn wir zu einer Demo fahren, und grausame Bilder von misshandelten Tieren kann er überhaupt nicht sehen.

Meiner Meinung nach liegt die strukturelle Ungerechtigkeit im Umgang mit Tieren innerhalb unserer Gesellschaft daran, dass Kinder diesen seit frühester Kindheit von den Eltern lernen. Es findet keine Sensibilisierung statt. Den wenigsten Kindern wird ehrlich begegnet, ihre Fragen nach Wurst, Käse und Co. werden nicht wahrheitsgemäß beantwortet. Noch weniger wird ihre Ablehnung ernst genommen oder unterstützt und versucht, einen anderen Speiseplan zusammenzustellen. Die Spielfreunde meines Sohnes sind immer ganz interessiert, wenn ich erzähle, warum ich keine Gummibärchen aus Tierknochen esse und warum die (Tofu-)Würstchen anders aussehen. Sie fragen nach, und oft habe ich es auch erlebt, dass gesagt wird: „Nein, das möchte ich nun auch nicht mehr essen …“. Nur haben dann die Eltern leider auch noch ein Wörtchen mitzureden. Kinder wachsen in der Illusion auf, dass Tiere zum Essen da sind, Milch gesund sei, wilde Tiere im Zoo leben, gerne für uns Kunststückchen im Zirkus aufführen und Angeln ein abenteuerliches Vater-Sohn-Erlebnis darstellt. Sogenannte Haustiere leben gern in Käfigen im Kinderzimmer, und der Urlaub auf dem Bauernhof mit Ponyreiten und Streichelzoo sorgt für gute Laune und erhellt die Urlaubsstimmung.

Problematisch an dieser Stelle sind die Eltern, die sich schützend vor ihre Kinder werfen, aus Angst, ihre „heile Welt“ könnte Schaden nehmen. Kinder werden von klein auf indoktriniert in Form von Spielzeug, Büchern, Hörspielen und Filmen. Deshalb ist es so wichtig, dass der Tierbefreiungsgedanke vielfältig und breitgefächert ins Bewusstsein unterschiedlicher gesellschaftlicher Strukturen gespült wird, sei es mit kinderfreundlichen Aktionen auf der Straße, Spiel-, Bastel- oder Projekttagen in Kindergarten und Schule oder eigenen Gesprächen mit (interessierten) Kindern aus dem eigenen Umfeld.

Perspektive

Ich wünsche mir, dass das Thema „Politisch aktiv mit Kind“ mehr Beachtung in der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung findet, dass es aus der uninteressanten Ecke herausgeholt wird, dass auf Kongressen und Gatherings Anlaufmöglichkeiten, Ideenwerkstätten oder ein Kinderspace entstehen, wo jede_r seine Erfahrungen, Ideen und Möglichkeiten einbringen kann, damit ein Konzept entwickelt werden kann, in dem auch Kinder vorgesehen sind und gehört werden. Mir liegt am Herzen, dass den Interessen und Bedürfnissen von Kindern Beachtung geschenkt wird, dass sie mit einbezogen werden, selbst zu Wort kommen, dass sie die Möglichkeit erfahren, selbst etwas verändern und bewegen zu können. Kinder sollen (wenn sie möchten) am Aktivismus teilhaben können sowie sich zu mündigen Individuen in der Gesellschaft entwickeln können. Entsprechende Strukturen aufzubauen, fördert nicht nur die Kinder, sondern dient auch dem Aktivismus, letztendlich der Bewegung, und ermöglicht es Eltern, ihrerseits aktiv zu bleiben. Tierrechtsaktiv mit Kindern ist irgendwie anders, aber es lohnt, sich auf das Abenteuer einzulassen.

Falls es unter euch interessierte tierrechtsaktive Eltern gibt, denen ein weiterer Kontakt und Austausch am Herzen liegt, dann meldet euch unter: corinna[ätt]die-tierbefreier.de.