Am 20. Juni lädt das Science Cafè in der GrooveStation Dresden unter dem Titel „Pro Test oder Protest?“ zu einem Diskussionsabend zum Thema „Tierversuche“ ein. Das Science Cafè ist eine Veranstaltung des Max-Planck-Instituts für molekulare Zellbiologie und Genetik (MPI-CBG) und eine Art offene Plattform, bei der „bei Kaffee, Bier oder Wein und kleinen Snacks, Experten und Laien auf einer Ebene über aktuelle und brisante Themen“ diskutieren sollen.

Als sogenannte Expert*innen zum Thema „Tierversuche“ werden am 20. Juni
– Ronald Naumann, Leiter der Transgenic Core Facility am MPI-CBG
– Oliver Zierau, Tierschutzbeauftragter an der TU Dresden
– Angela Rösen-Wolff, Leitung Klinische Forschung am Universitätsklinikum Dresden
in der GrooveStation vor Ort sein.

Die Veranstaltung positioniert sich als transparente und objektive Diskussionsrunde und knüpft damit an Initiativen der Tierversuchslobby, wie „Pro-Test“ und „Tierversuche verstehen“ an. Eingefordert wird ein sachlicher und fairer Meinungsaustausch; bei genauer Betrachtung geht es jedoch ausschließlich darum, für die Akzeptanz von Tierversuchen zu werben. Das ist Heuchelei und soll von uns nicht unwidersprochen bleiben.

Paradigmenwechsel statt kosmetischer Korrekturen

Die grundlegende Ausrichtung der Veranstaltung spiegelt sich in der Behauptung, dass man „vernetzte Systeme wie etwa das Immun- oder Nervensystem nicht allein mit Hilfe von vereinfachten Modellen oder Computersimulationen untersuchen und verstehen kann“. Eine häufig von Tierversuchsbefürworter*innen vorgetragene These. Zellkulturen und Organchips reichten demnach nicht aus, da ein Gesamtorganismus benötigt würde. Dass die Ergebnisse aus dem „Gesamtorganismus“ Maus (gehalten in sterilen Plastikkästen, zudem meist genmanipuliert) jedoch nicht auf den Menschen übertragbar sind, findet keinerlei Erwähnung.

Ausgehend von dieser Behauptung, die den Tierversuch als „notwendiges Übel“ darstellen soll, werden anschließend eine Reihe von Fragen zur Belastung und Unterbringung der Tiere und Antragsverfahren von Tierversuchen aufgeworfen. Diese sind an das 3R-Konzept (Replacement, Reduction, Refinement) angelehnt. 3R beruht auf der Annahme, der Tierversuch sei eine prinzipiell sinnvolle Methode, die durch Ersatz nicht oder weniger leidensfähige Systeme, durch Verminderung der Anzahl der Tiere oder durch Verminderung der Schmerzen für Tiere, verbessert werden könnte. Eine Abkehr vom Tierversuch wird bei diesem Konzept nicht in Erwägung gezogen!

Die „3R“ sind heute innerhalb der tierexperimentellen Forschung weit verbreitet und akzeptiert. Das Konzept ist in der EU-Tierversuchsrichtlinie verankert und wird von Lobbyinitiativen wie zum Beispiel „Tierversuche verstehen“ propagiert. Zu einer Verringerung von Tierversuchen hat das fast 60 Jahre alte 3R-Konzept nicht geführt. Reduction und Refinement sind für uns indiskutabel. Maßnahmen, bei denen die Zahl oder das Leid der Tiere verringert werden, stellen lediglich kosmetische Korrekturen dar. Wir wollen keine Abwandlung des tierexperimentellen Systems, sondern einen kompletten Paradigmenwechsel.

Gewalt an Tieren

Im Folgenden wollen wir eingehend unsere Position zu Tierversuchen darlegen. Wir vertreten dabei viele Positionen, welche die Tierrechtsbewegung und die Anti-Tierversuchsbewegung im Laufe ihrer Existenz erarbeitet haben. So sprechen zum Beispiel viele Argumente aus medizinischer und methodologischer Sicht gegen Tierversuche. Im Kern geht es bei dieser Kritik um die oben erwähnte Frage der Übertragbarkeit von Tierversuchen auf den Menschen. Zahlreiche Studien bestätigen diese Kritik. Ausführliche Informationen dazu findet ihr auf der Seite der Ärzte gegen Tierversuche. Auch für uns ist die Kritik schlüssig und nachvollziehbar.

Gleichzeitig ist es für uns jedoch völlig unerheblich, ob Tierversuche möglicherweise übertragbare Ergebnisse liefern könnten, denn auch Tierversuche mit übertragbaren Ergebnissen würden für die betroffenen Tiere weiterhin die Hölle auf Erden bedeuten. Im Zentrum unserer Kritik steht die Gewalt an Tieren – unabhängig davon, ob diese Gewalt in Tiermastanlagen und Schlachthöfen, auf Pelzfarmen oder in Versuchslaboren ausgeübt wird.

Fast jede*r hat schon einmal Bilder aus einem Tierversuchslabor gesehen – wir alle wissen, dass dort kein Tier “zu Tode gestreichelt” wird. Stell dir einmal vor, du wüsstest, dass dein*e Nachbar*in einen Hund oder eine Katze in seinem Wohnzimmer so behandelt, wie es den Tieren im Tierversuchslabor ergeht: Er/Sie entzieht dem Tier die Nahrung, bricht ihm die Beine, verätzt ihm Haut und Augen mit Reinigungsmitteln, schwängert das Tier künstlich, um die schädliche Wirkung eines Umweltgiftes auf den Embryo zu beobachten, füttert es mit Suchtstoffen, um eine Abhängigkeit zu provozieren, etc. Nun stell dir vor, dein*e Nachbar*in vergiftet nicht ein, sondern hunderte Tiere, weil er/sie wissen will, wie viele der Tiere sterben, wenn er/sie eine bestimmte Menge eines Giftstoffes verabreicht.

Nun stell dir bitte zwei Fragen:

1. Wieso sollte es einen Unterschied machen, WO dem Tier Gewalt angetan wird?

2. Wieso sollte es einen Unterschied machen, WELCHEM Tier diese Gewalt angetan wird?

Es ist klar, dass eine Gewalthandlung nicht weniger schmerzhaft, angstauslösend, zerstörerisch und letztendlich mörderisch ist, wenn sie in einem Labor statt einem Wohnzimmer durchgeführt wird. Ebenso sollte es aber auch klar sein, dass jedes Tier leidensfähig ist und dass sich kein Tier dieser Welt freiwillig im Versuchslabor (oder im Schlachthof) misshandeln, quälen oder umbringen lässt. Jedes Tier ist ein Individuum, ist jemand und nicht “etwas“! Daher ist es für uns völlig unerheblich, WO einem Tier Gewalt angetan wird und WELCHEM Tier Gewalt angetan wird. Unsere Kritik ist daher dezidiert eingebettet in eine generelle Kritik der Gewalt an Tieren, die in dieser Gesellschaft ein unaussprechliches Maß erreicht hat. Tierversuche sind nur ein Aspekt eines allgemeinen, gesamtgesellschaftlichen Problems. Aus Sicht der Tierrechtsbewegung zählt daher nicht der vermeintliche Nutzen der Tierversuche für Menschen, sondern die Perspektive des einzelnen Tieres welches unter der systematischen Gewalt in Versuchslaboren leidet. Jedes einzelne Tier, das im Labor ermordet wird, stirbt einen gewaltsamen Tod, der sich auch nicht dadurch legitimieren lässt, dass das Tier für eine vermeintlich „gute Sache“ umgebracht wurde.

Forschungsethik!?

Jede moderne Wissenschaft hat eine Forschungsethik. Diese bestimmt die Grenzen möglicher Forschungsvorhaben. So gelten Menschenversuche ohne Einwilligung der Probanden als völlig illegitim. Aber innerhalb der unterschiedlichen wissenschaftlichen Felder gelten völlig unterschiedliche Maßstäbe. Ebenso gilt es etwa in den Sozialwissenschaften als selbstverständlich, dass Probanden einer Studie darüber in Kenntnis gesetzt werden, dass sie überhaupt an einer Studie teilnehmen. Forschungsethik ist ein hohes Gut und wird sehr ernst genommen. Die Diskussion um forschungsethische Grundlagen in Bezug auf Tiere wirkt im Vergleich grotesk und zynisch.

Wie kann es sein, dass eine moderne Wissenschaft noch immer auf Tötung und Gewaltanwendung basiert? Wir fordern daher die Etablierung einer eindeutigen Forschungsethik, die die absichtsvolle Verletzung fühlender Lebewesen untersagt. Es muss zu den ethischen Grundlagen wissenschaftlicher Forschung gehören, dass sie keine Opfer produziert. So wie es völlig undenkbar ist, Medikamente, Haushaltsmittel oder Giftstoffe an Menschen gegen ihren Willen zu testen, muss es zur absoluten Selbstverständlichkeit werden, dass derartige Gewalthandlungen auch nicht an Tieren durchgeführt werden. Wenn diese Übereinkunft in allen Bereichen der Forschung anerkannt wird, wenn also alle Bereiche der wissenschaftlichen Forschung aus Eigeninteresse die alternativen Methoden weiterentwickeln und verbessern, wäre ein Ende der Tierversuche problemlos möglich. Dass Tierversuche noch immer durchgeführt werden, ist kein Resultat mangelnder Alternativen. Es liegt am mangelnden Willen der Tierversuchsindustrie, eine wahrhaft friedfertige Forschung zu realisieren, in der weder Menschen noch Tiere zu Schaden kommen.

Tierbefreiungsposition

Für ein genaueres Verständnis unserer politischen Zielvorstellungen ist eine Abgrenzung der Begriffe Tierrechte/Tierbefreiung von dem des Tierschutzes/New Welfarism nötig.

Im Konzept der Tierrechte/Tierbefreiung wird jegliche Nutzung von Tieren für menschliche Zwecke und jegliche Form der Gewalt an Tieren abgelehnt. Wir begreifen das Verhältnis von Menschen gegenüber Tieren als ein Unterdrückungs- und Gewaltverhältnis, welches eine grundlegende Veränderung erfahren soll, und nicht lediglich zu reformieren ist.

Bezogen auf das Thema Tierversuche werden Diskurse über eine „verbesserte Haltung“ und „humanere Tötung“ als in sich widersprüchliche Legitimationsversuche entlarvt. Als Tierbefreier*innen fordern wir stattdessen die Unterlassung der Zufügung physischer wie psychischer Gewalt.

Für die oftmals von Tierschutzvereinen und Gruppen des New Welfarism vorgebrachte Argumentation, über Reformen sei eine langfristige Abschaffung der Tierausbeutung zu erreichen, gibt es keine Anhaltspunkte. Vielmehr sind wir der Ansicht, dass eine affirmative Politik über kurz oder lang zum Kollaborateur der Tierausbeutungsindustrie(n) werden muss, da die Abschaffung der Existenz des politischen Gegners nicht im Verhandlungsrahmen mit eben diesem liegt.

tierbefreiung Dresden


Teile des Textes sind dem Statement der Kampagnen LPT-schließen entnommen. Als OG des tierbefreier e.V sind wir an der Kampagne beteiligt. Infomaterial zum Thema Tierversuch und zur LPT-Kampagne bekommt ihr an unseren Infoständen.

Foto: Beagle in der Außenanlagen des Tierversuchslabors LPT in Mienenbüttel bei Hamburg.

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