Bereits zum nunmehr sechsten Mal fanden vom 15. bis 22. September die Libertären Tage mit einer ganzen Reihe von Veranstaltungen statt. Neben Diskussionen und Vorträgen zu Themen wie zum Beispiel „Anarchismus muss praktisch werden!“, „Gesellschaftliche Funktionen von Schule” oder auch einen Talk mit Extinction Rebellion zum konstruktiven Austausch über klimarelevante Themen, gab es wieder einige Workshops sowie eine inklusive Schnitzeljagd, bei der es mit dem Rollstuhl durch Dresden ging. Zudem kooperierte dieses Jahr die Libertären Tage Dresden erstmals mit den Datenspuren.
Tierbefreiungstag mit Stadtrundgang, Küfa und Vortrag
Der Tierbefreiungstag am 19.09. startete um 16 Uhr mit dem Stadtrundgang „Quo vadis Tier?„. Mit etwa 15 Teilnehmer*innen begaben wir uns auf eine Spurensuche zur Mensch-Tier-Beziehung durch die Dresdner Neustadt. Nach etwa 3 Stunden Entdeckungstour wartete im Kukulida bereits die vegane Küfa. Gegen 19:30 startete dann der Vortrag “Gefährt*innen für eine befreite Welt – Anarchie und Tierbefreiung” mit Tom vom Tierbefreiungsarchiv.
Speziesübergreifende Solidarität
„Befreiung hört nicht beim Menschen auf“ ist einer der Slogans der Tierbefreiungsbewegung. Befreiung – auf allen Ebenen – das wollen auch Anarchist*innen. Was lag also näher, als sich die Überschneidungen beider Bewegungen anzusehen?
Der erste Teil des Vortrags widmete sich zwei historsichen, anarchistischen Stimmen für die Befreiung der Tiere: Louise Michel und Élisée Reclus. Beide waren Teil der Pariser Commune von 1871.
Solidarität jenseits von Spezies, Geschlecht, Herkunft und „Klasse“ waren für Louise Michel die Hauptantriebsfeder des Denkens und Handelns. In ihren Memoiren kommt sie zur Schlussfolgerung: »Alles, alles muss befreit werden, die Geschöpfe und die Welt, wer weiß, vielleicht die Welten?« „Sie zeigt auf eindrucksvolle Weise, wie eine von Solidarität geprägte Einstellung gegen alle Unterdrückungs- und Ausbeutungsformen anzugehen ist“.
Speziesübergreifende Solidarität, sowohl in seinem Denken als auch in der Praxis, waren auch beim Geographen und Anarchisten Élisée Reclus anzutreffen. Ähnlich wie bei Louise Michel ist nicht ganz klar, ab wann Reclus die Ausbeutung nichtmenschlicher Tiere in sein Denken einbezog. Laut seines erstmals 1901 erschienen Artikels „Zur vegetarischen Lebensweise“ scheinen ihm diese Gedanken bereits in der Kindheit gekommen zu sein. Seine Analyse klingt auch heute noch äußerst zeitgemäß: „Es ist nur eines der traurigen Ergebnisse Fleisch zu essen, dass die dem Appetit des Menschen geopferten Tiere mit System und Methode zu scheußlichen, unförmigen Wesen erklärt und ihre Intelligenz und ihr moralischer Wert herabgemindert wurden.“
Für die heutige Tierbefreiungsbewegung und die anarchistischen Bewegungen können die Ideen, dass „alles befreit werden muss“ (Louise Michel) und wir „keine Metzgereien mehr sehen“ (Élisée Reclus) wollen, eine kämpferische und gleichzeitig friedliche Inspiration sein. In den Aussagen von Élisée Reclus kann eine Analyse des Speziesismus und der Überschneidung mit anderen Ausbeutungs- und Unterdrückungsformen festgestellt werden, so Tom.
Im zweiten Teil des Vortrags wurden die Texte / Bücher von Bernd-Udo Rinas „Veganismus. Ein postmoderner Anarchismus bei Jugendlichen?“ und Brian A. Dominicks „Soziale Revolution. Vom Veganarchismus oder Anarchaveganismus“ gegenüber gestellt.
Insbesonde „Tierbefreiung und Soziale Revolution*“ bietet auch heute noch viele Ansatzpunkte, die aufgenommen und weitergedacht werden sollten. So hat Brian A. Dominick zum Beispiel bereits 1997 die Gefahr angesprochen, dass ehemals politische Konzepte wie Veganismus vom Kapitalismus geschluckt werden – anstatt sie in einen gesellschaftlichen Prozess der Transformation einzubinden.
Zum Abschluß des Vortrags wurde ein Strukturkonzeptentwurf zu bio-veganem Anbau und der Organisationsfrage vorgestellt. Das Konzept wurde 2018 auf dem Kongress Anarchistische Perspektiven auf Wissenschaft an der Universität Hamburg vorgestellt. Die skizzierten Lösungsansatz sind zum allergrößten Teil an das Strukturkonzept des Mietshäusersyndikats angelehnt und an einigen entscheidenden Stellen um spezifische Notwendigkeiten erweitert.
Die im Vortrag angesprochenen und viele weitere Themen sind in dem Magazin TIERBEFREIUNG nachzulesen bzw. können dort noch vertieft werden. Die Ausgabe beschäftigt sich auf 52 Seiten mit den Überschneidungen von Anarchismus und Tierbefreiung und gibt einen Überblick über historische und aktuelle, theoretische und praktische Beispiele.
Leider gab es im Anschluss an den Vortrag nur eine sehr kurze Diskussion bzw. nur wenige Fragen zum Thema. Mehrfach wurden wir jedoch beim Infostand am Samstag auf den Vortrag angesprochen.
Infotisch im Zentralwerk
Am Samstag waren wir von 12 bis 19 Uhr im Zentralwerk. Dort trafen die Libertären Tage erstmals auf die Datenspuren. Für uns eine gute Gelegenheit, Menschen zu erreichen, die mit dem Thema Tierbefreiung in der Regel nicht oder nur sehr selten in Kontakt kommen. Neben geistigen Input durch unseren Bücher- und Infotisch gab es auch mal wieder vegane Waffeln. Bei tollem Spätsommerwetter ergaben sich zahlreiche gut Gespräche.
Vielen Dank an die Orga, die Referent*innen, die Locations und alle anderen Menschen, welche diese Woche ermöglicht haben!
*Revolution ist für Dominick „der Prozess des Anfechtens der falschen Weisheit und Werte, die uns eingeimpft wurden und der Handlungen, die wir gelernt haben zu machen beziehungsweise nicht zu machen. […] Das Überwinden der Unterdrücker in unseren Köpfen wird die Revolution sein …“
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